Hallo meine Lieben,
könnt ihr euch noch an meinen Albtraum wegen des Sunrise Avenue Konzerts erinnern? Ich kann euch beruhigen, wach wurde ich rechtzeitig, trotzdem kamen wir eine Stunde später als geplant in Coburg an.
Die Sonne scheint, aber die vielen Bäume sorgen für Schatten. Es ist also kalt und windig. Irgendwann sind wir auf dem Schloßplatz, die Bühne direkt vor uns. Ich frage einen Security-Typ, wo der offizielle Eingang ist, aber er und seine Kollegen haben keine Ahnung, deshalb gehen wir ihrer Vermutung nach. Ich sehe ungefähr zehn Damen, was ich durchaus ok finde. Ich laufe um die Ecke und zweifle zeitgleich an meinem Verstand.
Hinter einer Absperrung befinden sich weitere 20 Damen und da sind noch ein paar und dort und da hinten. Sie schaffen es tatsächlich nicht, sich in ein oder zwei Reihen aufzustellen wie sich das für einen zivilisierten Eingang gehört.
Dass meine Laune momentan im Keller ist, kann man wahrscheinlich heraus lesen. Ich liebe alles an Sunrise Avenue, außer ihre Fans. Bei jedem Konzert, egal wann, egal wo, man sieht überall die gleichen Anhänger, die in Campingstühle gekuschelt vor sich hin dösen, wenn sie nicht gerade auf ihrem Gaskocher etwas zubereiten. Ich komme mit solchen Fans nicht klar, weil sie der Grund sind, warum der direkte Kontakt zur Band unmöglich wurde. Wenn ich jetzt genauer darüber nachdenke war es wohl kein Zufall, dass Samu in Fürth ausgerechnet dann her kam als die Damen ausgeflogen waren. Aber egal, ich muss vor Einlass nur noch knappe sechs Stunden mit ihnen aushalten, das wird schon.
Mit meiner Mama wechsle ich mich jetzt ab, eine von uns vertritt sich meistens die Füße, während die andere eisern die Stellung hält.
Kurz nach zwei gibt es endlich eine kleine Kostprobe. Wer oder was sich allerdings auf der Bühne verausgabt, ist nicht erkennbar. Gegen halb drei ertönt erneut Musik aus den Boxen. Ich habe überall Hühnerhaut. Sami haut auf sein Schlagzeug wie kein anderer. Noch drei, zwei, eins This is the moment... Alle Strapazen des Tages vergesse ich jetzt als Samu Out of tune anstimmt. Insgesamt gibt es in der nächsten Stunde noch zwei weitere Anläufe.
Auf einmal laufen Juho und Mikko von My First Band vorbei und durch meinen Sichtschlitz (kleine Öffnung der Absperrung) sehe ich einen unglaublich blonden Mann. Vorhin konnte man raushören, dass Osmo heute anscheinend nicht dabei ist, da liegt die Vermutung nahe, dass sich vielleicht Jukka -ich esse Gemüse mit Oma und Opa- Backlund auf dem Gelände herum tummelt. Wir werden sehen.
Jetzt ist ungefähr 16 Uhr und ich diskutiere seit 15 Minuten mit äußerst unterbelichteten Teenies. Dass Vordrängeln nicht in Ordnung ist, geht leider nicht in ein Miniaturhirn. Auch hier werden wir sehen wie die Geschichte weiter geht, notfalls bekommt der Herr von der Security seinen zweiten Einsatz heute. So ein Pläuschchen mit anderen Fans ist doch immer nett. Wieder und wieder frage ich mich, warum ich mir das alles antue, auch noch als Antti This one's gonna hurt und We built a house schmettert.
Die nächsten zwei Stunden werden die allerschlimmsten, die ich je auf einem Konzert erleben werde. Die Organisation ist ein Witz, der Eingang wird viel zu spät aufgebaut, das aber auch nicht richtig. Auf dem Boden liegen massenweise Flaschen und Rucksäcke, die plötzlich keinen Besitzer mehr haben. Von allen Seiten wird gedrückt und geschubst, die ersten Tränen fließen. Eine halbe Stunde vor Einlass machen die Damen ein paar Securitys schöne Augen. Das Resultat: erfrühter Einlass und ein sicherer Platz in der ersten Reihe. Solch eine Unprofessionalität ist komplett neu für mich und auch als um 18 Uhr erneut geschrien und geweint wird, greift niemand ein. Wer über den Müll stolpert und am Boden zertrampelt wird, ist doch selbst Schuld... Mich wundert es nicht, wenn im Laufe des Abends von noch mehr Verletzten bekannt wird.
Jetzt stehe ich in der dritten Reihe. In der Dritten. Außer Riku werde ich niemanden zu Gesicht bekommen, da die Bühne viel zu hoch ist. Falls sich nicht etwas ändert, war das mein letztes Konzert, meine Gesundheit setze ich für ein paar Finnen nicht aufs Spiel.
Glücklicherweise erkenne ich meine Nachbarin für den heutigen Abend gleich wieder, in München hatte ich damals auch schon die Ehre. Sie ist wie viele hier eine Nonne, aber nicht Gott verschrieben, sondern Samu. Dass sie mann- und kinderlos sind, erzählen die Damen hier jedem, der es nicht wissen will, stattdessen hätten sie aber nichts gegen Samu im Bett. (Ob der auf deutlich ältere Frauen steht? Also als Liebesbeweis hätten sie schon mal ein obligatorisches Tattoo... Außerdem ist Samus Freundin doch einige Jahre jünger als er, somit würde sich alles ganz gut ausgleichen.)
Nach dem Liebesleben der Anwesenden wird noch ein anderes Thema heiß diskutiert: Samus Stalker-Post
I
LOVE fans. They support you when it's hard and you celebrate those
amazing nights with them at different arenas. I don't always understand
how the hell they can be so amazing and from where do they get the power
to do their thing. I just hope we can pay them back with our shows.
I HATE stalkers. They stare at you non-stop when you eat your morning
yoghurt and they just wanna have something for themselves not giving a
damn about how it makes you feel. I don't know what the hell they want
but I think they should all go to therapy.
Die Reaktionen auf diese Mitteilung waren enorm, doch irgendwie konnte man auf Facebook nur Zuspruch lesen. Hier auf dem Coburger Schloßplatz ist der feine Ton längst vergessen. Es wird gelästert ohne Ende. Was sich der Haber dabei denke, er habe es sich schließlich so ausgesucht. Es sei eine Unverschämtheit, so etwas zu posten. Ich staune gerade nicht schlecht wie Fans solche bitterbösen Worte in den Mund nehmen können und mache mir ein weiteres Mal Gedanken über seine Aussage. Er kann sich wirklich nicht beschweren, wenn er auf der Straße angesprochen wird. Das gehört zu seinem Job und durch solche Leute wird sein Leben finanziert. Alles, was aber über normales Ansprechen hinaus geht, ist nach gesundem Menschenverstand aber eigentlich tabu. Mich würde schon interessieren wie diese Damen reagieren würden, wenn man sie auf Schritt und Tritt verfolgt und ständig ungefragt fotografiert.
Es ist 19:28, in wenigen Minuten muss es losgehen. Ich sehe Mikko, Juho und die Heikkis bis endlich auch Antti die -viel zu hohe- Bühne stürmt. Wie auf Corazon soll es auch heute Abend mit We built a house starten. Schon nach der ersten Strophe bin ich mir sicher: das war doch nicht mein letztes Konzert. Viel zu enge Hosen, Paillettenjäckchen, Leohemden, verspiegelte Sonnenbrillen, Bier und jede Menge qualmende Zigaretten stellen zwar weder modisch noch gesundheitlich ein Vorbild da, aber ich liebe, liebe, liebe diese Ungewöhnlichkeit, ja sogar Unangepasstheit. Obwohl We built a house nicht mein absoluter Favorit ist, schwebe ich endlich auch musikalisch wieder auf Wolke sieben. Noch nie konnte ich so abgehen wie jetzt gerade. Gänsehaut und Hitzewallungen wechseln sich genau wie Atemlosigkeit und Adrenalin pur in diesem Momenten bei mir ab. Schon nach den ersten zwei Liedern bin ich körperlich am Ende, ich hoffe auf ein ruhigeres Lied, das ich vielleicht nicht so mag, damit ich mich ein wenig ausruhen kann.
Meine
Lieblings-Sunrise Avenue-nachbarin ist alles andere als begeistert. Mit verschränkten Armen und einem Gesichtsausdruck der Bände spricht, steht sie da und sucht Ablenkung in einem Gespräch. Als niemand darauf eingeht, handelt sie nach alter Manier. Hoch lebe das Smartphone und Facebook! Respekt den Künstlern und anderen Anwesenden gegenüber war gestern.
Antti kündigt das nächste Lied an und die Beschreibung sowie die ersten Töne klingen verdächtig nach This one's gonna hurt, also wieder nichts mit Ausruhen. Die folgenden vier Minuten sind der Oberhammer. Die Sorgen der letzten Tage und Wochen sind in diesem Moment wie weggeblasen. Jetzt zählen nur noch die Musik und ich.
I'm reading the signs and I know this ones gonna hurt.
I hear the alarm and I know this ones gonna hurt.
Er hat so Recht. Vor Monaten musste ich eine total banale Entscheidung treffen, trotzdem wusste ich, dass sie mein ganzes Leben verändern könne. Ich wusste auch, dass es in diesem Fall nicht leicht werden würde und, dass es wahrscheinlich weh tun wird. Ach Mist, hatte ich diese Probleme nicht gerade vergessen?
Wie
kann man in so engen Hosen so sehr abgehen? Antti gibt alles, es ist genau wie ich es mir vorgestellt hatte, fast noch ein bisschen besser.